Donnerstag, 13. Mai 2010

Das Unbekannte

Das Unbekannte ist ein Begriff ohne Definition. Es ist nicht greifbar, ohne Materie;  allein das Wort verrät seine Existenz.
Ich versuche daher, mich dem Unbekanntem von linguistischer Seite zu nähern. Das Wort „unbekannt“ ist im Vergleich zum Unbekannten an Sich zu sehen, sichtbar. Für mich, als stark visuell orientierter Mensch, ist Sichtbarkeit ein wichtiger Aspekt meines Empfindens.

Zu allererst aber, ich bin kein Linguist. Ich bin Designer. Die nachfolgende Begriffsanalyse ist daher nicht wissenschaftlich linguistischer Natur, sondern rein visueller. Ich beschreibe das sichtbare, geschriebene Wort.
Das Wort unbekannt, gliedert sich in drei Silben; un-be-kannt. Als erstes fällt auf, der Wortanfang ist eine Verneinung. Die Vorsilbe Un- ist vergleichbar mit nicht oder nein. Ist die wörtliche Verneinung also ein Hinweis auf die materielle Nicht-Existenz? Oder beschreibt sie die Verneinung von etwas Bekanntem?
Der mittlere Wortteil -be- ist sehr interessant. Die zwei scheinbar unwichtigen Buchstaben haben bei genauerer Betrachtung eine vielsagende Bedeutung. Sie beschreiben die Passivität des Begriffs. Die Vorsilbe be- bezieht sich stets auf ein Subjekt. Ich gehe also davon aus, dass sich das Unbekannte stets aus dem Blick des Menschen erklärt. Der Mensch steht daher im Zentrum meiner weiteren Betrachtung.
Der hintere Wortstamm -kannt, bezieht sich auf kennen. Ein mögliches Synonym wäre das Verb wissen.
Nehmen wir nun alle drei Silben mit ihren neuen Begriffspaaren, ergibt sich das Wort nicht-wissen.
Wir wissen nun, dass wir das Unbekannte nicht wissen. Ich schließe daraus, dass die materielle Existenz des Unbekannten nicht greifbar, nicht existent ist. Ist es aber dennoch möglich, etwas Unsichtbares, nicht Existentes visuell darzustellen? Durchaus. Denken wir zum Beispiel an das EEG aus der Medizin, womit Gehirnströme aufgezeichnet werden können; schwarz auf weiß. Die Ströme aber sind auch messbar. Wie verhält es sich aber mit dem Unbekannten? Ist es messbar? Ist es fühlbar? Sichtbar? Da ich es nicht weiß, die Deklination von wissen stellt eine spannende Analogie zur Farbe Weiß her, beschließe ich fortan alle meine Sinne zu schärfen, um das Unbekannte zu finden.

Der Gemeinsamkeit der Begriffe wissen – ich weiß und der Farbe Weiß möchte ich nachgehen. In der additiven Farbmischung  ist Weiß das Licht. Alle Lichtwellen mit ihren unterschiedlichen Energiewerten zusammen ergeben die Farbe Weiß.
Wenn ich nun den Bogen zur Linguistik schlage, das Unbekannte ist Nicht-Wissen, hieße dies wiederum, das Unbekannte ist Nicht-Weiß. Das Licht ist weiß, hell und energiegeladen. Ist das Unbekannte demnach schwarz, dunkel und ohne Energie? Wenn es aber keinerlei Energie hätte, wäre es physikalisch nicht existent. Es scheint also etwas Transzendentes zu sein. Das Wort etwas weist auf das sächliche Geschlecht des Unbekannten hin.
Zusammenfassend bin ich also auf der Suche nach einer Sache, die physikalisch nicht existent ist, sie aber transzendental erfassbar wäre. Transzendenz beschreibt einen metaphysischen Zustand der wissenschaftlich nicht greifbar ist. Es ist vielmehr ein Gefühlszustand. Das Unbekannte – ein Gefühl?

Stütze ich mich nun auf die Gefühlsebene und der Dunkelheit. Beide Begriffe gehen miteinander her, da unser Gehirn stets Bilder produziert. Gerade in der Nacht, wenn das menschliche Auge seiner Funktion beraubt wird, schnellen Blitze, Schatten und Figuren aus der Dunkelheit hervor. Nicht existente Formen gruppieren sich zu sonderbaren Skulpturen. Und schongleich greift der Ratio in die Situation ein. Wir sehen etwas, was eigentlich gar nicht da ist. Aber selbst nachdem unser Geist uns auf die nichtexistente Tatsache aufmerksam gemacht hat, sehen wir weiterhin Bilder. Oder meinen es zumindest. Ist es pure Einbildung, ein Streich unserer Fantasie? Ja und Nein.

Licht ist, wie Feuer, eines der bedeutendsten Phänomene für alle Kulturen. Künstlich erzeugtes Licht ermöglicht dem Menschen ein angenehmes und sicheres Leben.
Ihr Gegenspieler ist die Dunkelheit. Vor ihr fürchten sich Kinder wie Erwachsene. Das unheimliche an ihr, ist ihr Charakter: das Dunkle. Essentiell ist das ungewohnte Fehlen von optischen Reizen. Wir können weniger sehen, uns weniger orientieren. Das Bewegen in der Dunkelheit fällt schwer, da Gefahren nicht erkannt werden können. Symptomatisch begleitet uns daher ein Gefühl der Unsicherheit und Angst. Auslöser kann dabei die erwartete Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit sein; das eigene Leben ist das höchste Gut.

Dieses menschliche Grundgefühl der Angst, äußert sich in bedrohlich empfundene Situationen.
Es hat die überlebenswichtige Funktion, unsere Sinne zu schärfen. Die Angst ist also ein Schutzmechanismus, der in Gefahrensituationen ein angemessenes Verhalten (etwa Flucht) einleitet.
Sie bereitet das Lebewesen auf eine „Kampf- oder Flucht-Situation“ vor. So steigert die Angst unsere
Aufmerksamkeit, die Pupillen weiten sich und Seh- und Hörnerven werden empfindlicher. Der ganze Körper ist angespannt, um schnell zu reagieren – vor dem Unbekannten.
Doch vor was oder wen müssen wir uns schützen? Trachtet etwa jemand nach unserem Leben? Oder existiert der „schwarze Mann“ tatsächlich?

Nicht Geister und Dämonen sind es, die uns schaudern, vielmehr ist es die Einsamkeit in der Dunkelheit. Ohne Licht scheint alles grenzenlos zu sein. Keine Wände und keine Grenzen aber auch keine Wege. So sind wir ohne Halt und scheinen uns in der Dunkelheit zu verlieren. Doch diese scheinbare Körperflucht ist irrtümlich. Sie ist ein Ausdruck der Angst vor uns selbst. Die eigenen unliebsamen Empfindungen, Erinnerungen und Gedanken nutzen die Dunkelheit, um sich zu zeigen.
So ist es besonders die Nacht, die terrestrische Dunkelheit, vor der wir bangen. Wenn wir träumen, und Körper und Geist sich vom Tage erholen, kommen unbewusste Probleme und Gefühle zum Vorschein. Wir träumen.
Carl Gustav Jung, eine Schweizer Psychiater und Begründer der Analytischen Psychologie, vertrat die Ansicht, dass sich in Träumen unsere Fehler in Schatten manifestieren. So ermutigte er seine Patienten sich intensiv mit deren Schatten zu beschäftigen, um mehr über sich selbst zu erfahren. Denn nicht was hell und klar zutage tritt macht uns Angst, sondern das Ungewisse.
Dunkle Gestalten wollen uns also nicht ängstigen oder quälen. Nein, sie wollen uns lehren und leiten, um wieder zu uns selbst zu finden.

Die Nacht ist demnach eine ambivalente Zeit. In ihr findet der Mensch Ruhe und Entspannung, sie kann aber auch Chaos und Probleme mit sich bringen. Vor allem aber hebt sie das Irrationale hervor und erschließt darüber die Geheimnisse des Seins. Sie bringt das im Dunkel liegende Unbewusste an den Tag. Die Nacht birgt aber nicht nur Geister und Schauer. Sie provoziert Neugier vor dem Kommenden. Sie ist die Zeit vor dem kommenden Tag, die Brache vor dem neu beginnenden Wachstum.
Die Nacht mit der einhergehenden Dunkelheit konzentriert sich in der Farbe Schwarz. In Analogie zu Weiß entspricht Schwarz als nichtbunte Farbe dem Absoluten. Es verkörpert das Undifferenzierte.
Aus der totalen Finsternis, aus dem Nichts entsteht symbolisch das Ur-Chaos, das Abgründige vor der Schöpfung. Sie ist jener Raum, aus dem alles entstand. So heißt es in der Genesis: "Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe [...]"

Wenn ich also noch einmal zusammenfasse: das Unbekannte ist ein Gefühl, welches auf Angst beruht und sich vornehmlich im Dunklen zeigt.
Dunkelheit ist aber nicht nur während der nächtlichen Stunden, sie herrscht auch in Höhlen und Räumen, in denen kein Licht hineinfällt. Es muss also nicht immer die Nacht mit ihren Träumen sein, in der uns das Unbekannte begegnet. Selbst bei Stromausfall, in den eigenen vier Wänden, haben viele Menschen ein beklemmendes Gefühl.

Das eigene Zimmer, die Wohnung oder gar das eigene Haus ist der Rückzugsort eines Jeden. Es bietet Schutz, Vertrautheit und Geborgenheit. Doch in der Dunkelheit zieht eine gewisse Fremdheit selbst in diese Räume. Das Phänomen bei weitem tritt nicht immer auf, auch nicht bei jedem. Doch besonders an Tagen, an denen wir uns unwohl fühlen, an denen scheinbar nichts funktioniert sind wir besonders empfindsam. Dann formt sich der Schatten der Blume in der Dunkelheit zu einem Teufelsgesicht und in den Ecken sammelt sich die Schwärze. Hinter die Tür trauen wir uns erst gar nicht zu schauen. Doch macht uns nicht die Tür Angst oder die Dunkelheit an sich, sondern das, was sich dahinter verbirgt.
Das Zimmer verkörpert als Teil des Hauses einen Teil der Persönlichkeit. In Räumen lässt sich das Unbewusste oder die Entfaltung im Lebensraum finden. Das Zimmer ist der Spiegel der Persönlichkeit. Hier ist jeder ganz bei sich selbst. Wenn nun aber Dämonen der Dunkelheit entsteigen, wird es Zeit, sich selbst zu stellen.
Wir nehmen Zweifel, Ahnungen und Ungewissheiten erst wahr, wenn sie sich zu Gespenstern formatieren. Sie bahnen sich einen Weg zu unseren Ängsten, weil nur noch die Angst uns erreicht. Die Beziehung zum Rest unseres Körpers haben wir verloren.

Die Fotografische Umsetzung folgt

1 Kommentar:

  1. das Unbekannte?

    es ist abstrakt
    werdend

    oder aus ihm kommend
    aus der Ferne

    oder in die Ferne
    gehen


    rlz.

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